Forschung in der Forensischen Medizin und Verkehrsmedizin
Die Forschungstätigkeit in der Forensischen Medizin verfolgt innovative Projekte insbesondere zur Verbesserung der rechtsmedizinischen Diagnostik. Aktuelle Studien umfassen die systematische Dokumentation alltäglicher Verletzungen des weiblichen Genitales, die Altersbestimmung von Knochenbrüchen bei Kindern mittels MR-Bildgebung, eine Methode zur Todeszeitbestimmung im sehr frühen postmortalen Intervall, eine Umfragenstudie zum Dunkelfeld «Gewalt im Alter» sowie die Optimierung der forensischen Fotodokumentation.
Erhebung und Dokumentation von Verletzungen und Abweichungen der anatomischen Norm des weiblichen Genitales
Laurence Martin, Eva Scheurer, Kathrin Gerlach
Das Ziel der vorliegenden Studie war die Untersuchung von vaginalen Verletzungen, die im Zusammenhang mit alltäglichen Aktivitäten wie Sport, Körperpflege und einvernehmlichem Geschlechtsverkehr auftreten können. Dadurch soll die Interpretation von Verletzungen bei Opfern sexueller Gewalt verbessert und die forensische Begutachtung erleichtert werden.
Die Prävalenz von Genitalverletzungen bei Frauen variiert stark und reicht von 4 bis 58%. Während kleinere Verletzungen häufig auftreten und in der Regel schnell heilen, bleibt die präzise Zuordnung der Ursache eine Herausforderung. Forschungsergebnisse zeigen, dass Verletzungen im Genitalbereich sowohl durch Geschlechtsverkehr als auch durch Unfälle, Sport oder Körperpflege verursacht werden können. Auch bei sexuellen Übergriffen können Verletzungen auftreten, wobei die Differenzierung zwischen einvernehmlichem und nicht einvernehmlichem Geschlechtsverkehr weiterhin problematisch ist.
Im Rahmen dieser Studie wurden 100 Frauen untersucht. Am Untersuchungstermin füllten sie einen Fragebogen zu medizinischen, gynäkologischen und Lifestyle-Daten aus. Im Anschluss erfolgte eine standardisierte Untersuchung des äusseren weiblichen Genitalbereichs. Die Untersuchungsergebnisse wurden systematisch dokumentiert, wobei krankhafte Befunde und Verletzungen präzise nach Lokalisation und Morphologie erfasst wurden.
Die Ergebnisse dieser Studie werden in einem rechtsmedizinischen Journal publiziert. Die Studie trägt dazu bei, Muster bei Genitalverletzungen und deren Ursachen zu identifizieren und somit die rechtsmedizinische Beurteilung von Sexualdelikten zu verbessern.
Frakturdatierung mittels MRI bei Frakturen der langen Röhrenknochen bei Kindern im Alter von 5 bis 15 Jahren
Rebecca Gafner, Eva Scheurer
Das Ziel dieser Pilotstudie war zu prüfen, ob die quantitative MR-Bildgebung geeignet ist, um das Alter von Knochenbrüchen bei Kindern und Jugendlichen zu bestimmen und die zeitlichen Veränderungen der gemessenen Relaxationsparametern während des Heilungsprozesses zu dokumentieren.
Die Studie wurde mit 15 Personen durchgeführt. Zur Entwicklung der Untersuchungsmethode wurden 7 gesunde Personen ohne Knochenbruch einmalig im MRI untersucht. Anschliessend absolvierten 8 Kinder und Jugendliche im Alter zwischen 6 und 13 Jahren mit gebrochenen Röhrenknochen im Verlauf der Heilung mehrere MRI-Untersuchungen. Der Schwerpunkt lag auf Veränderungen der T1- und T2-Relaxationszeiten (physikalische Eigenschaften des Gewebes, die im MRT gemessen werden können) an verschiedenen Stellen: im Bruchspalt, im gebrochenen Knochen, im gesunden Knochen der Gegenseite sowie im umgebenden Weichgewebe.
Insgesamt wurden 30 MRT-Untersuchungen ohne Zwischenfälle oder vorzeitige Abbrüche durchgeführt. Sieben Studienteilnehmende absolvierten alle drei geplanten Untersuchungen. Die T2-Parameter im Bruchspalt zeigten grosse interindividuelle Unterschiede ohne eindeutiges Veränderungsmuster. Die T1-Parameter im Bruchspalt nahmen im Verlauf leicht ab. Bei den Knochen-Messwerten zeigte sich keine klare Tendenz. Im umgebenden Weichgewebe nahmen sowohl T1- als auch T2-Werte im Zeitverlauf ab.
Die Studie zeigt, dass mehrere MRI-Untersuchungen über einen längeren Zeitraum bei Kindern und Jugendlichen praktisch umsetzbar sind. Bezüglich der Messungen im Heilungsprozess können aufgrund der individuellen Unterschiede keine genauen Aussagen über das zeitliche Verhalten der Werte im Knochen selbst getroffen werden. Die nachgewiesene Abnahme der Relaxationszeiten im Weichgewebe sowie der T1-Werte im Bruchspalt könnte jedoch für zukünftige Verfahren zur Altersbestimmung von Knochenbrüchen vielversprechend sein.
Anwendbarkeit des idiomuskulären Wulstes zur forensischen Todeszeitdiagnostik im frühen postmortalen Intervall

Daniel Wolter, Holger Wittig, Kathrin Gerlach
Eine möglichst präzise Einschätzung des Todeszeitpunkts ist ein zentrales Element der forensischen Medizin mit erheblicher strafrechtlicher und zivilrechtlicher Relevanz.
Während für spätere Zeitintervalle bereits umfassende Untersuchungen vorliegen, fehlte bislang eine systematische Analyse für die frühe postmortale Phase. Die idiomuskuläre Reaktion, bei der durch Anschlagen der Oberarmbeugemuskulatur eine lokalisierte Muskelkontraktion ausgelöst wird, ist ein etablierter Parameter der Todeszeitschätzung, dessen Bedeutung für das frühe postmortale Intervall jedoch noch nicht eingehend untersucht wurde.
Das Forschungsprojekt kombinierte einen retrospektiven Teil (mit Daten aus den Jahren 2013-2022) mit einem prospektiven Ansatz nach interner Mitarbeiterschulung zur Standardisierung der Untersuchungsmethodik. Als Untersuchungskollektiv dienten 2021 Verstorbene mit dokumentiertem Todeszeitpunkt nach assistiertem Suizid (87%) oder frustraner Reanimation (13%).
Die detaillierten Ergebnisse werden derzeit im Rahmen der Doktorarbeit zusammengefasst.
Bemerkenswert ist, dass nach gezielter Schulung der Untersucher die Beobachtungshäufigkeit des idiomuskulären Wulstes deutlich anstieg. Dies unterstreicht die Bedeutung standardisierter Untersuchungstechniken für zuverlässige Ergebnisse.
Die Ergebnisse dieses Projekts werden eine wissenschaftlich fundierte Basis für die rechtsmedizinische Todeszeitschätzung schaffen und zur Erhöhung der Rechtssicherheit in juristischen Verfahren beitragen.
Abklärungen zum Dunkelfeld «Gewalt an Seniorinnen und Senioren» bei Todesfällen
Nico Louis-Enrique Betz, Scheurer Eva, Kathrin Gerlach
Diese Forschungsarbeit im Rahmen einer Masterarbeit untersuchte systematisch Todesfälle älterer Menschen im Kontext möglicher Gewalteinwirkung. Das Projekt adressiert eine wichtige Forschungslücke, da Seniorinnen und Senioren als vulnerable Personengruppe in rechtsmedizinischen Forschungskontexten bislang nur unzureichend berücksichtigt wurden.
Dabei wurden die im IRM durchgeführten Obduktionen an verstorbenen Seniorinnen und Senioren retrospektiv analysiert, um folgende Schlüsselfragen zu beantworten:
- Aus welchen Gründen werden Todesfälle von Seniorinnen und Senioren durch eine Obduktion genauer abgeklärt?
- Wie häufig gilt die gerichtliche Obduktion der Abklärung einer (potenziellen) Gewalteinwirkung durch Dritte?
- Wie oft findet sich eine Gewalteinwirkung durch Dritte bei den Fällen, die zunächst unverdächtig waren?
- Werden mehr Frauen als Männer obduziert, weil Frauen das typische Opfer von Gewalt im Alter sind?
- Sind mehr Frauen als Männer infolge einer Gewalteinwirkung verstorben?
- Kann durch die gerichtliche Obduktion, zumindest im Kollektiv der Rechtsmedizin, ein Teil der Dunkelziffer von Gewalt im Alter erhellt werden?
- Wie viele offensichtliche bzw. nachträglich erkannte Tötungsdelikte finden sich im Kollektiv?
- Lassen sich Faktoren benennen, die eine weitere strafrechtliche Abklärung von Todesfällen von Seniorinnen und Senioren indizieren?
Das Projekt zielte darauf ab, evidenzbasierte «Red Flags» für Strafverfolgungsbehörden zu entwickeln, die als Entscheidungshilfe dienen können, wann eine strafrechtliche Untersuchung eines Todesfalls im Seniorenalter eingeleitet werden sollte. Diese Erkenntnisse sollen dazu beitragen, potenzielle Fälle von todesursächlicher Gewalt gegen ältere Menschen besser zu erkennen und die Lücke zwischen Dunkel- und Hellfeld zu verringern.
Die Forschungsarbeit baute auf den Ergebnissen einer 2023 durchgeführten Umfragestudie zu «Gewalt gegen Seniorinnen und Senioren im Kanton Basel-Stadt» auf, die einen konkreten Verbesserungsbedarf bei der Erkennung und dem systematischen Umgang mit Gewalt gegen ältere Menschen identifiziert hatte.
Optimierung der Qualität bei der Erstellung gerichtsverwertbarer Fotodokumentation durch klinisch tätiges medizinisches Personal
Linda Hauenstein, Thomas Rost, Eva Scheurer
Diese prospektive Studie untersucht den Nutzen unterschiedlicher Schulungsmassnahmen zur Verbesserung der forensischen Fotodokumentation. Die Qualität fotografischer Dokumentation ist in der forensischen Arbeit von entscheidender Bedeutung, da sie sowohl für die medizinische Befundung als auch für juristische Verfahren herangezogen wird und daher höchsten Standards entsprechen muss.
Im Rahmen dieser Studie wurden zwei unterschiedliche Interventionsansätze systematisch evaluiert: zum einen die Bereitstellung einer detaillierten schriftlichen Anleitung und zum anderen ein praktisches Teaching mit direkter Anleitung. Im Rahmen der Studie dokumentierten freiwillige Probandinnen und Probanden standardisierte Foto-Testbefunde unter drei verschiedenen Bedingungen: zunächst ohne jegliche Unterstützung (Baseline), dann nach Erhalt einer ausführlichen schriftlichen Anleitung und schliesslich nach einem praktischen Teaching.
Die Qualitätsbewertung der entstandenen Fotodokumentation erfolgte anhand eines zuvor festgelegten Kriterienkatalogs, der objektive Parameter zur Beurteilung der Bildqualität definierte. Diese umfassten technische Aspekte wie Bildschärfe, Belichtung und Farbwiedergabe sowie spezifische forensische Anforderungen wie die massstabsgetreue Darstellung, die Vollständigkeit der Erfassung relevanter Merkmale und die angemessene Perspektive.
Die Forschungsarbeit zielte darauf ab, evidenzbasierte Empfehlungen für optimale Schulungskonzepte zu entwickeln, um die Qualität forensischer Fotodokumentation systematisch zu verbessern. Die Ergebnisse sollten nicht nur intern die Arbeitsabläufe optimieren, sondern auch als Grundlage für standardisierte Trainingsmassnahmen in der Aus- und Weiterbildung von Fachpersonal im rechtsmedizinischen Bereich dienen.
Diese methodisch kontrollierte Untersuchung unterschiedlicher Interventionsformen stellt einen wichtigen Beitrag zur Qualitätssicherung in einem Bereich dar, der für die rechtsmedizinische Beurteilung von grundlegender Bedeutung ist.